Vor ein paar Wochen habe ich einen angehenden Elektroingenieur bzgl. Berufsunfähigkeitsversicherung beraten. Er hat mich wohl ergoogelt und wollte direkt vorbeikommen, um Gegenangebote zu den ihm bereits vorliegenden Vorschlägen zu erhalten. Eher selten sind solche Angebotssammler an einer Beratung interessiert sondern haben meistens recht konkrete Vorstellungen davon, was sie wollen und zu welchem Preis. Dass ihre Vorstellungen zu 99% falsch sind, ist nur natürlich. Ich kenne mich zB mit Fahrzeugbau ja auch nicht im Detail aus, sondern will einfach ein gutes Auto.
Dieser Student hat sich zum Glück davon überzeugen lassen, dass eine richtige Beratung von A bis Z Sinn macht. Wir haben also angefangen, den Bedarf zu ergründen. Schnell war klar, dass die von den Vertretern bisher vorgeschlagenen Absicherung iHv 700 – 1.000e monatlich für ihn nicht ausreichen. Immerhin schließt er ja bald sein Studium ab und verdient dann in 6-9 Monaten richtig gut. Schnell kamen wir auch darauf, dass eine BUrente nicht schon mit 60 enden sollte. Außerdem: Mini-Renten bringen nichts!
Aber was ist das richtige Endalter einer Berufsunfähigkeitsabsicherung?
Die Antwort wird Sie wahrscheinlich überraschen: Die Berufsunfähigkeitsabsicherung sollte lebenslang – also bis zum Tod – reichen.
Hä???
Jaja, Sie haben schon richtig gelesen. Bis zum Tod und keinen Tag früher. Die Erklärung ist eigentlich ganz einfach. Jede BUrente ohne die passende darauf abgestimmte Altersvorsorge ist ein riesiger Reinfall.
Sie glauben mir nicht?
Nehmen wir den jungen Mann als Beispiel: (Aus Gründen der Vereinfachung rechnen wir mit den heutigen Zahlen und ohne Inflation, welche bei jeder seriösen Finanzplanung berücksichtigt werden müsste!)
Er beginnt mit 27 Jahren seine Karriere und verdient 4.000e monatlich brutto. Netto bedeutet das etwa 2.400e. Sofern sich nichts ändert, macht er das 40 Jahre lang und geht dann in Rente. Seine Rente von der Deutschen Rentenversicherung beträgt dann 1.600e brutto, davon gehen dann Krankenversicherung, Pflegeversicherung und Steuern weg. Nehmen wir der Einfachheit halber einfach (sehr humane) 200e mtl weg. Damit hat er eine Altersrente von 1.400e mtl netto, was ggüber seinem Nettoeinkommen vorher immerhin 1.000e monatliche Einbuße bedeutet.
Das nennen wir mal Problem A wie Altersrente. Das hat jeder Arbeitnehmer.
Nun gibt’s aber mit 35 Jahren einen Vorfall, woraufhin der gute Mann nicht mehr arbeiten kann und daraus folgend eine Fallunterscheidung:
I) Er bekommt eine private BUrente und eine volle Erwerbsminderungsrente bis zur Altersrente
II) Er bekommt eine private BUrente und eine halbe Erwerbsminderungsrente bis zur Altersrente
III) Er bekommt eine private BUrente und keine Erwerbsminderungsrente bis 67
IV) Er bekommt weder eine private BUrente noch eine Erwerbsminderungsrente
Fall I)
Anspruch auf die volle Erwerbsminderungsrente hat man, wenn man nicht mehr als 3h täglich arbeiten kann – egal in welchem Beruf. Unseren jungen Mann hätte es also richtig schwer erwischt. Die Höhe der Erwerbsminderungsrente lässt sich mit einem anderen Rieksmeier’schen Bierdeckel wieder mal relativ einfach berechnen: (4.000e / 220) x (62 – 27) x 2 = 1.272,73e volle Erwerbsminderungsrente monatlich. Gemäß der “korrekten” Rentenformel der DRV läge die volle Erwerbsminderungsrente bei etwa 1.160e brutto. Davon gehen dann Krankenversicherung, Pflegeversicherung und Steuern weg. Um wieder bei seinem vorherigen Netto zu landen, braucht er nun mindestens 1.500e BUrente, denn weder die Erwerbsminderungsrente noch die Berufsunfähigkeitsrente sind netto. Die BUrente wird als sogenannte “abgekürzte Leibrente” versteuert, was bei 32 Jahren Laufzeit einem zu versteuernden Anteil von 32% entspricht. Also von 1.500e BUrente müssten nur 480e mit dem individuellen Steuersatz versteuert werden, 1.020e wären steuerfrei. Nehmen wir einen (übertriebenen) Steuersatz von 25% an, dann würden auf die Berufsunfähigkeitsrente 120e Steuern fällig – die Nettorente aus der privaten BU wäre also bei 1.380e monatlich. Diese bekommt er nun bis zum Rentenbeginn, welcher bei einer durchlaufenden EMi-Rente mit 63 erfolgt. Dann bekommt er noch 4 Jahre lang die BUrente weiter dazu und ab 67 nur noch die gesetzliche Altersrente iHv 1.160e zzgl etwaiger Steigerungen. Gegenüber der regulär zu erwartenden Altersrente (s.o.: 1.600e brutto, abzgl. KV, PV und Steuern) fehlen ihm nun weitere mindestens 400e netto monatlich – zusätzlich zu der bestehenden Versorgungslücke von 1.000e monatlich!
Fall II)
Analog Fall I) würde der Kunde eine Erwerbsminderungsrente bekommen, aber diesmal nur die halbe. Das bedeutet, er kann mindestens 3h aber maximal 6h täglich arbeiten. Gemäß quick&dirty-Berechnung via EMi-Bierdeckel wäre die halbe Erwerbsminderungsrente bei 636,37e – laut der exakten Berechnung gemäß Rentenformel sogar nur etwa 580e brutto monatlich, das ist bereits unter der magischen Grenze der Grundsicherung (~ 750e mtl) und bedeutet ARMUT. Um auf sein vorheriges Netto zu kommen, müsste der Kunde mindestens 2.000e BUrente abgesichert haben. Wie im Fall I) wird mit 63 die Auszahlung der halben Erwerbsminderungsrente beendet und als Altersrente dann verdoppelt. Bedeutet also das gleiche Ergebnis wie im Fall I): Gegenüber der regulär zu erwartenden Altersrente (s.o.: 1.600e brutto, abzgl. KV, PV und Steuern) fehlen ihm nun weitere mindestens 400e netto monatlich – zusätzlich zu der bestehenden Versorgungslücke von 1.000e monatlich!
Fall III)
Wie wir wissen, wird nur etwa bei jedem Zweiten der Antrag auf Erwerbsminderung bewilligt. Die private BUrente ist idR einfacher zu bekommen, denn da gibt es noch Berufsschutz. Im Fall III) hat der Kunde also eine ausreichende BUrente von 2.400e mtl abgeschlossen, welche er er nun bis 67 erhält. Neben Steuern muss er nun den kompletten Beitrag der Krankenversicherung und Pflegeversicherung schultern, was seine BUrente um mehrere Hundert EUR schmälert. Eigentlich hätte er, um das gleiche Netto wie vor seiner Berufsunfähigkeit zu erhalten, eine viel höhere BUrente abschließen müssen – das ist allerdings üblicherweise aufgrund der Annahmerichtlinien der Versicherer idR nicht möglich. Kaum ein Versicherer geht bei Einkommen > 2.000e netto mit der versicherbaren BUrente bis zum Nettoeinkommen und nur sehr wenige mit viel Verhandlungsgeschick auch darüber. Der Grund dafür liegt u.a. bei befürchtetem Missbrauch, denn wer strengt sich schon an um wieder gesund zu werden, wenn er von der Versicherung mehr bekommt als durch Arbeit. Diesem Thema können sich BUversicherer allerdings nicht ganz entziehen, denn BU ist eine Summenversicherung – die versicherte Rente wird unabhängig vom Einkommen zum Zeitpunkt des Leistungsfalls bezahlt. Um solchen Fälle vorzubeugen existiert eben die recht strikte finanzielle Risikoprüfung bei Antragsstellung. Naja, nun hat der Kunde seine BUrente. Diese BUrente hat einen Anfang (Vorfall) und ein Ende (Vertragsende). Um Kosten zu sparen, werden häufig Verträge bis 60 / 62 / 63 / angeboten. Der Kunde war aber schlau und hat die volle Laufzeit bis 67 genommen. Mit 67 endet die BUrente nun und jetzt? Jetzt wird das Problem AA wie AltersArmut deutlich: Weil er seit dem Alter 35 nicht mehr in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt hat, da er berufsunfähig geworden ist, hat er nur etwa 11,5 Rentenpunkte auf seinem Konto und deshalb (aus der heutigen Sicht 2015 a.D. 1 Rentenpunkt = 28,61e) eine Altersrente iHv 329,02e brutto monatlich! Tja, voll in AA gelandet. Ein Glück dass wir in Deutschland die Grundsicherung haben, welche seine Mini-Rente auf etwa 750e monatich aufstockt. Zum heutigen Nettoeinkommen iHv 2.400e fehlen ihm mit 67 trotzdem über 2.000e im Monat.
Fall IV) Der junge Mann hat sich für die Truthahn-Methode entschieden und weder vorgesorgt noch Glück mit der Deutschen Rentenversicherung gehabt. Long story short: Grundsicherung, dann Grundsicherung im Alter. Viel Spaß…
Hier findet man die Zahlen in einer übersichtlichen Tabelle:
Einkommen heute | Einkommen nach Vorfall | Private Arbeitskraftabsicherung | Einkommen mit 67 | Versorgungslücke | |
---|---|---|---|---|---|
Fall 0) Kein Vorfall | 2.400e | kein Vorfall | nicht notwendig | 1.600e | 1.000e |
Fall I) Volle EMi + BU | 2.400e | 1.160e | 1.500e | 1.160e | 1.400e |
Fall II) Halbe EMi + BU | 2.400e | 580e | 2.000e | 1.160e | 1.400e |
Fall III) Keine EMi, nur BU | 2.400e | 0 | 2.400e | 329,02e Altersrente wird auf 750e Grundsicherung aufgestockt | 2.000e |
Fall IV) Truthahn-Methode | 2.400e | 750e Grundsicherung | keine | 329,02e Altersrente wird auf 750e Grundsicherung aufgestockt | 2.000e |
Wie können Sie diese Probleme nun lösen?
1. Einen BUtarif mit lebenslanger BUrente wählen
Aktuell bieten nur 3 (!) Gesellschaften einen solchen Tarif an und das mit Einschränkungen. Bei LV1871 muss die Berufsunfähigkeit bis Alter 50 eingetreten sein, bei Generali sogar bis Alter 40 und bei WWK mindestens 10 Jahre vor Vertragsende. Ferner kann es sein, dass diese Gesellschaften sonst gar nicht zu den Anforderungen des Kunden passen oder aus anderen Gründen (Annahmerichtlinien, Gesundheit, Preis, etc) nicht in Frage kommen. Diese Lösung greift jedoch zu kurz, denn Problem A wie Altersrente bleibt bestehen.
2. Altersvorsorge mit BUrente kombinieren
Früher hieß es immer mantraartig “Kapitalaufbau und Risiko müssen getrennt werden!“. Eine jede solche Aussage sollte sorgfältig geprüft werden, denn im Einzelfall kann sie total falsch sein. Bei jeder richtigen Arbeitskraftabsicherung gehört eine passende Altersvorsorgelösung dazu. Diese sollte zwei Vorgaben erfüllen: a) Die Versorgungslücke schließen, wenn Fall I) – IV) nicht eintreten und b) die zusätzliche Versorgungslücke schließen, wenn Fall I) – IV) eintreten. In unserem konkreten Beispiel bedeutet das: Wenn kein Vorfall eintritt, muss der Rentenvertrag mindenstens 1.000e Monatsrente auszahlen. Wenn ein Vorfall eintritt, muss der Rentenvertrag mindestens 1.400e bzw. 2.000e Monatsrente auszahlen.
Wie schafft man das?
Eine Altersvorsorge zu finden, die ab Alter 67 mindestens 1.000e Monatsrente bringt, ist noch relativ leicht. Man wählt die Risikoklasse, die zu erwartende Rendite und dann hat man den notwendigen Monatsbeitrag.
Doch wie kann man diesen Beitrag während Erwerbsminderung und/oder Berufsunfähigkeit aufrechterhalten und wie kann man den Beitrag auch noch verdoppeln?
Aus Erfahrung wissen wir, dass bei BU die Altersvorsorge bzw. die finanziellen Rücklagen als Erstes angegriffen werden. Immerhin geht fast jede Krankheit mit Einkommenseinbußen Hand in Hand. Doch das kann ganz einfach lösen. Gegen geringen Aufpreis bietet fast jede Gesellschaft eine Beitragsbefreiung bei BU. Das bedeutet, dass ab BUfall die Beiträge für die Altersvorsorge komplett wegfallen und von der Versicherung übernommen werden. Dazu sollte eine Beitragsdynamik im Leistungsfall (auch Passivdynamik genannt) von 5% – 10% vereinbart werden, welche den Beitrag von heute in wenigen Jahren vervielfacht. Dies dient nicht nur der Inflationsbekämpfung wie die übliche Beitragsdynamik VOR dem Leistungsfall sondern sorgt dafür, dass die zusätzliche Versorgungslücke durch Einzahlungsminderung oder -stopp bei der gesetzlichen Rentenversicherung ausgeglichen wird.
Nehmen wir unseren konkreten Fall:
Um 1.000e Monatsrente zu erzielen, muss der Kunde bei einem Zins von 6% ab Alter 27 die nächsten 40 Jahre 120,39e monatlich sparen. Wenn er mit 35 BU wird, hat er ein Guthaben von 10.000e – 15.000e aufgebaut und braucht bis Alter 67 noch 320.000e – 470.000e. Um auf diese Summe zu kommen, müsste er 32 Jahre lang 276,99e monatlich (= Endkapital 335.000e = 1.400e Rente ) bis 405,57e monatlich (= Endkapital 480.000e = 2.000e Rente) sparen. Alternativ würde für 1.400e Monatsrente der Starbeitrag von 120e, der jedes um 6-7% dynamisiert wird, reichen. Für 2.000e Monatsrente müsste der heutige Beitrag von 120e monatlich jedes Jahr um 9% – 10% steigen. Wenn man später berufsunfähig wird, schrumpft die zusätzliche Versorgungslücke weil man mehr Rentenpunkte gesammelt hat – und die Dynamik im Leistungsfall erzielt wegen der kürzeren Laufzeit weniger Rente. In etwa wird das Verhältnis also meistens passen!
Wer das alles selbst nachrechnen mag, dem sei das wunderbare Tool von Frank Nevels Altersversorgung Light herzlich empfohlen! 🙂
Fazit: Arbeitskraftabsicherung ohne Altersvorsorge funktioniert nicht. Altersvorsorge ohne Arbeitskraftabsicherung kann funktionieren, denn die Chancen alt zu werden sind höher als berufsunfähig zu werden. Lassen Sie die Finger von unvollständigen Lösungen, die große Teile des Problems vergessen. Suchen Sie einen kompetenten Berater, der für Sie ein umfassendes Konzept gestalten kann. Für die Rente kann es die gleiche Gesellschaft sein, bei der man die Berufsunfähigkeitsrente hat – muss aber nicht. Es bietet sich wegen einfacher(ER) Leistungsprüfung durch den gleichen Sachbearbeiter an. Sofern diese Gesellschaft allerdings keinen guten Altersvorsorgetarif oder die o.g. dringend notwendigen Optionen nicht bietet, kann man auch eine andere Gesellschaft nehmen. Da muss man nur aufpassen, dass die BU-Beitragsbefreiung auch gute Bedingungen hat.
Und unser Student?
Aufmerksam ist er meinen Ausführungen gefolgt und hat dann einen tollen Vertrag mit ausreichender Altersrente inkl. BUbeitragsbefreiung, 8% Beitragsdynamik im Leistungsfall, BUrente iHv 1.750e monatlich und 3% Rentendynamik (auch bei BUrenten sehr wichtig!) abgeschlossen. Nach ein paar Wochen meldete er sich bei mir, weil er sich unsicher geworden ist. Die Versicherungsvertreter, bei den er vor mir die Angebote eingeholte hatte, waren über seine Absage gar nicht erfreut und fanden unsere Lösung gar nicht gut. Rente und BU kopple man nicht, das wäre ja nur aus Provisionsinteresse – und überhaupt: Kapitalaufbau und Risiko muss man trennen! Ich bat den jungen Mann zu mir ins Büro und erklärte ihm ganz ausführlich alles noch einmal. Beim mittlerweile 3. Mal hat er das unglaublich komplizierte Thema nun vollkommen verstanden und sich herzlich bei mir bedankt. Ich fragte ihn zum Abschluss, ob einer der Versicherungsvertreter ihm konkret sagen konnte, weshalb meine Lösung schlecht wäre. Er meinte, das konnte keiner. Es wären nur allgemeine schwammige Aussagen gekommen, einer sagte nur “Sein Gefühl wäre schlecht”. Ich nickte grinsend und verabschiedete ihn. Natürlich konnten von unqualifizierten Vermittlern, die Kunden BUrenten unter Grundsicherung anbieten, nur solche schwammigen Aussagen kommen. Jeder seriöse Vermittler oder Berater wird Ihnen alles schriftlich geben können und sich sicherlich nicht auf seine Gefühle verlassen 😉
Mit besten Empfehlungen,
Wladimir Simonov
Comments 7
Ergänzend zu den obigen Ausführungen wäre es interessant zu wissen, wie hoch die monatlichen Aufwendungen für die Aufrechterhaltung des Versicherungsschutzes im dargelegten Beispiel ausfallen.
Vielen Dank bereits an dieser Stelle.
Author
Meinen Sie die Aufwendungen für den BUschutz oder den Gesamtbeitrag für Altersvorsorge + BU?
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Klasse Bericht, klasse Mann! SO geht Makler 🙂
Author
Danke schön 🙂
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