Eigentlich nervt jegliche Berichterstattung über Versicherungen, denn für die Presse sind wohl nur schlechte Nachrichten relevant. Man sucht also händeringend nach Fällen, bei den die bösen, bösen Versicherungen etwas nicht bezahlt oder einem Baby den Schnuller weggenommen haben. Üblicherweise ist das keine Kommentierung wert, denn wenn man alles richtigstellen müsste, was tagtäglich so publiziert wird, müsste man rund um die Uhr schreiben und sich in einem ungesunden Maße aufregen. Deshalb lasse ich das meistens auch, denn es ist ja eh immer das Gleiche – und Feedback erhält man von keiner Redaktion. Nicht mal an einem konstruktiven Austausch ist man interessiert.
Heute ist mir allerdings ein Artikel bei Stern begegnet, den ich nun doch kommentieren muss. Am 18. September erschien ein Artikel von Joachim Reuter mit der reißerischen Überschrift: “Schutzlos trotz Schutzbrief”, im Teaser schreibt er: “60 Milliarden Euro an Beiträgen zahlen die Deutschen jährlich für ihre Sachversicherungen und wähnen sich auf der sicheren Seite. Die Versicherer nutzen viele Schlupflöcher, um nicht zahlen zu müssen.” Der Tenor und die Zielsetzung sind also mal wieder klar, was auch der Aufruf am Ende des Artikels unterstreicht:
Haben Sie schlechte Erfahrungen gemacht?
Haben auch Sie als Versicherungskunde auch schlechte Erfahrungen gemacht? Nicht nur bei der Haftpflicht, sondern auch mit Ihrer Hausrat-, Rechtsschutz- oder Gebäudeversicherung? Wenn Sie Probleme mit Ihrer Versicherung hatten, so schreiben Sie uns doch ihren Fall bitte an aktion@stern.de”
Die Leser ließen sich natürlich nicht lange bitten und so erschien am 4. Oktober der Artikel mit 5 Fällen, bei den die Leser “abgezockt” wurden. Praktischerweise “hilft” Stern auch gleich mal mit einem – nunja, sagen wir mal – “Experten”.
Fall 1: Kunde hat einen Kfz-Tarif mit Werkstattbindung, lässt den Wagen in der falschen Werkstatt reparieren und bleibt deshalb auf 49e sitzen! SKANDAL!!! Brutale Ungerechtigkeit!! O-Ton von Johann G-Punkt: “Versicherungstechnische Realsatire?”
“Experte”: Bla, Erklärung der Werkstattbindung, blaaa, Versicherung ist im Recht. Fazit: “Jedoch mangelte es offenbar an guter Beratung.”
Wladimir Simonov: Kaum ein Vermittler verkauft freiwillig einen Kfz-Tarif mit Werkstattbindung, denn dies bedeutet einen geringeren Beitrag und somit weniger Provision. Wie wir alle wissen, sind ja alle Vermittler provisionsgeil – deshalb ist das Fazit des sogenannten Experten absolut unrealistisch. Der Kunde wurde beraten UND er hat sich ganz sicher bewusst für einen Tarif mit Werkstattbindung entschieden. Aufgrund dieser Entscheidung hat er womöglich jahrelang 10-20% des Versicherungsbeitrages gespart, was wahrscheinlich durchaus mehr als diese 49e “Verlust” ausgemacht hat. Durch sein Fehlverhalten hat der mutmaßlich volljährige Hr. G-Punkt das also selbst zu verantworten, der Versicherer hat unstrittig richtig gehandelt. Fall geschlossen!
Fall 2: Selbstständige Kundin bekommt im Januar Brustkrebs, meldet sich berufsunfähig und bekommt nach nur 3 Monaten (!!) die versicherte BU-Rente, welche bis September befristet war und nun leistet die Rechtsschutz nicht, da die BU-Versicherung niemals schriftlich mitgeteilt hätte, sie stelle die Rente ein. Aktuell lebt Marion M. von ihren Ersparnissen.
“Experte”: Ach, das ist Standard. Gemeine Versicherung wird alles prüfen, um sich von ihrer Leistungspflicht zu drücken und eine kleine Abfindung zu bezahlen. Da muss man hart dagegen vorgehen. Am besten anzünden oder so!
Wladimir Simonov: Dass eine Berufsunfähigkeitsversicherung bereits nach 3 Monaten bezahlt, ist eine Sensation und herausragende Leistung. Üblicherweise heißt es ja in den Versicherungsbedingungen:
Vollständige Berufsunfähigkeit liegt vor, wenn der/die Versicherte infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, voraussichtlich für die Dauer von mindestens 6 Monaten (Prognosezeitraum) zu mindestens 50% außer Stande ist, seinen/ihren Beruf, wie dieser vor Eintritt der Krankheit, Körperverletzung oder des Kräfteverfalles beschaffen war, auszuüben.
Deshalb warten die Versicherer in der Regel ja erst einmal 6 Monate, bevor sie BUrente zahlen. Naja, Hajo Köster hat sicherlich eine BU schon mal in 2 Monaten durchbekommen – wie Chuck Norris, der bei All-u-can-eat 2x aufgegessen hat. Der ganze Fall ist ist sowieso unlogisch. Wieso sollte eine bewilligte BUrente eingestellt werden? Wieso wurden lediglich 5 Monate BU bewilligt – üblich sind erst einmal 12 Monate und dann eine Nachprüfung. Das kann der Versicherer aber nicht einfach so nach Gutdünken machen. Was hat das mit der Rechtsschutz zu tun? Irgendetwas hat die gute Marion M. verschwiegen, falsch verstanden oder vergessen. Für Fachleute gibt’s nach dieser Schilderung mehr Fragen als Antworten – aber nicht für Hr. Köster natürlich.
Fall 3: Diana lässt ihr Handy fallen und die Handyversicherung will nicht zahlen. Oh, Schreck!
“Experte”: Handyversicherung ist unwichtig, die hättest du gar nicht abschließen sollen. Dein Problem ist mir egal.
Wladimir Simonov: Hajo Köster hat diesmal Recht. Aber wie wurde der Kundin denn damit geholfen?.. Grundsätzlich sollte die Kundin auf eigene Kosten einen Gutachter beauftragen und damit die Regulierung erzwingen. Das wird aufgrund des Streitwerts allerdings regelmäßig keinen Sinn machen. Bei Handyschäden ist die Betrugsquote bekanntlich besonders hoch, deshalb besteht eine nicht unerhebliche Wahrscheinlichkeit dass der Schaden tatsächlich nicht so wie geschildert passiert ist.
Fall 4: Im Urlaub wird aus dem Auto Zeugs im Wert von 3.000e gestohlen, unter anderem 3 (!!) Fotoapparate. Einbruchspuren gibt es nicht, Versicherungen zahlen nicht.
“Experte”: Ja, die Versicherungen sind im Recht. Man hätte so viel Zeugs gar nicht im Auto lassen dürfen, denn das Auto ist kein Tresor.
Wladimir Simonov: Auch hier hat Hajo Köster Recht. Wo genau ist denn nun der #Aufschrei? Der Schadensachbearbeiter ist wohl zurecht bei gleich 3 (!!!) entwendeten Fotoapparaten hellhörig geworden. Hoffentlich wollte sich da niemand auf Kosten der Versicherung sanieren? Da haben die blöden Versicherungen schon wieder richtig reguliert! Menno.
Fall 5: Frau hat eine PV-Anlage und Streit mit dem Energieversorger ist nicht durch die PRIVATE Rechtsschutz gedeckt, denn Stromeinspeisung ist eine gewerbliche Tätigkeit.
“Experte”: Das ist ein generelles Problem aller Photovoltaik-Betreiber für welches es keine Lösung gibt.
Wladimir Simonov: Eine Lösung gibt’s dafür, allerdings würde die Vertragsrechtsschutz die Familie wahrscheinlich ihren Jahresertrag der PV-Anlage kosten. Die Rechtsschutz ist also wieder im Recht, schlimm sowas.
Bilanz von “Stern hilft”: 3/5 Versicherung hat absolut tadellos reguliert, 1/5 könnte unrechtmäßig abgelehnt sein, 1/5 sehr gute und außerordentliche schnelle Regulierung, Kundin ist allerdings wohl mit der Situation überfordert.
Zum Schluss fragen Sie sich sicherlich, weshalb ich so kritisch die Aussagen von Hajo Köster zusammenfasse und kommentiere. Nun, von Stern wird er als “Versicherungsberater” tituliert. Dies ist eine geschützte Berufsbezeichnung, man darf sich nicht einfach so nennen. Man darf sich ja auch nicht nach Belieben “Arzt”, “Steuerberater” oder “Anwalt” schimpfen. Alle Personen und Unternehmen, die in Deutschland Versicherungen vermitteln oder beraten dürfen, können im Vermittlerregister nachgeschlagen werden. Hr. Köster steht da nicht drin:
Das könnte evtl damit zusammenhängen, dass gegen den ehemaligen Rechtsanwalt und Ex-Justiziar beim Bund der Versicherten Hajo Köster nach BILD-Informationen durch das Landeskriminalamt wegen verschiedener Vermögensdelikte ermittelt wurde und er in den Jahren 2010 sowie 2012 zu mehreren Hundert Tagessätzen verurteilt wurde. Nach Bekanntgabe dieser Umstände setzte ARD die Sendung mit dem vielsprechenden Titel “Köster greift ein – wenn die Versicherung nicht zahlt” bereits nach der ersten Folge ab. Vielleicht ist das ja der Grund, warum Köster kein Versicherungsberater ist – für die Zulassung benötigt man nämlich unter anderem geordnete Vermögensverhältnisse sowie wirtschaftliche Zuverlässigkeit…
Überlegen Sie also in Zukunft ganz sorgfältig, wer Ihnen hilft.
Mit besten Empfehlungen,
Wladimir Simonov
Comments 3
Schön geschrieben Herr Kollege!
Ich mag die Schreibart mit dem Unterton. Anders bleibt uns ja auch nichts übrig um solch “sinnigen” Beiträge in den Medien zu kommentieren.
Author
Danke sehr für Lob! Steter Tropfen höhlt den Stein 😉
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