Zum unsäglichen BU-Finanztest wurde ja schon so Einiges geschrieben – am besten finde ich den Beitrag von Kollege Helberg “Avanti Dilettanti“. Auch sehr gut aufbereitet hat es Sven Hennig – für alle, die es noch genauer wissen wollen: Online-PKV.de
Die Kritik der Kollegen ist absolut berechtigt. Auch die Art und Weise finde ich gut, denn statt einen Shitstorm anzufachen wird konstruktiv diskutiert. Bisher haben die meisten Kollegen sich auf die Unzulänglichkeiten der Testkriterien konzentriert, ich möchte nun eine weitere Facette in die Diskussion bringen: Will man denn bei einer Gesellschaft den wohl wichtigsten Versicherungsschutz überhaupt erwerben, die auf dem Papier zwar gut ist – aber in der Praxis mit der BU ungefähr so viel am Hut hat wie ein Affe mit Astrophysik? Hier ist der FinanzREST 🙂
Mit einem Beispiel lässt sich das erklären bevor wir gleich in die spannende Welt der Zahlen, Daten & Fakten einsteigen:
Sie kaufen ein Auto. Dieses Auto hat alle Tests gewonnen und gefällt Ihnen sogar farblich. Eines unschönen Tages haben Sie eine Panne und bringen das Fahrzeug in die Vertragswerkstatt des Herstellers – die einzige in 100km Umkreis und Sie sind der 1. Kunde seit 6 Monaten. Dort sitzt ein Azubi, der zwar motiviert aber technisch nicht besonders versiert ist und ein Meister, der unmotiviert aber dafür fachlich TOP ist. Das Problem ist nun, dass der Meister zwar alles kann – aber das letzte Mal vor etwa 10 Jahren und bei einem anderen Hersteller den Schraubenzieher in der Hand hielt. Der Azubi hingegen noch nie, schraubt aber gleich los. Was wird denn nun aus Ihrer kleinen Panne?
Kommen wir erst mal zu den Testsiegern:
AachenMünchener Lebensversicherung AG
Europa Lebensversicherung AG
Hannoversche Lebensversicherung AG
VHV Lebensversicherung AG
Knapp dahinter folgen:
Familienfürsorge Lebensversicherung AG
HanseMerkur Lebensversicherung AG
Huk24 AG
Huk-Coburg Lebensversicherungs-AG
Provinzial Rheinland Lebensversicherung AG
Auf den ersten Blick alles “bekannte” – oder wie so manch Vertreter es treudoof ausdrücken würde – “namhafte” Versicherer. Doch hat auch jede Gesellschaft das Zeug dazu, ihre schriftlich abgegeben Leistungsversprechen im Ernstfall auch einlösen zu können?
Fangen wir mal an.
Europa ist eine Direktversicherung, wirbt selbstbewusst mit dem Claim “VERSICHERUNG PUR” und gehört zum Continentale-Versicherungsverbund. Doch ist ein Versicherer für mich und meine Kunden die richtige Wahl, wenn er zwar seit 1974 das BUgeschäft betreibt, aber bisher in fast 40 Jahren nur grade mal knapp über 300 BUfälle abgewickelt hat? Zum Vergleich ziehen wir mal die Muttergesellschaft Continentale heran, die seit 1955 eine BUsparte betreibt, aber mit über 100.000 BUverträgen knapp das 4fache der Europa in den Büchern hat und und mit über 1.700 BUfällen bisher zumindest knapp in TOP25 der Branche landet.
Direktversicherungskonkurrent der Europa Hannoversche ist eine Tochter der VHV Gruppe, welche mit VHV Leben einen weiteren Testsieger bei Finanztest platzieren konnte (aber dazu später mehr). Im Vergleich mit Europa kann Hannoversche punkten. Immerhin haben sie seit der Einführung der BU im Jahre 1925 fast 100.000 Verträge einsammeln können und bisher knapp über 900 Fälle bearbeitet – in den letzten 13 Jahren mit 221 Stück fast so viel wie Europa in 40 Jahren.
Jetzt wo man ungefähr ein Gefühl für die Zahlen der o.g. Gesellschaften hat, könnte man sich den last but not leasten Testsieger AachenMünchener anschauen. Rund 1,4 Mio BUverträge im Bestand seit Einführung 1958 und 16.725 BUfälle bei der letzten Erhebung sprechen eine deutliche Sprache. Damit liegen sie nach Allianz branchenweit auf dem 2. Platz, was für die Vertriebskraft der Deutschen Vermögensberatung (DVAG) spricht, die seit jeher gebundene Vermittler der AM sind und seit 2008 die Produkte exklusiv vermitteln.
Die nächste prominent vertretene Versicherungsgruppe im Test kommt aus Coburg und vereint u.a. HUK, HUK24 und Familienfürsorge. Während HUK und 24 ihren Bestand zusammen führen und im Breitengeschäft insgesamt knapp 150.000 Verträge ihr eigen nennen (und auch 1.255 Leistungsfälle), hat Familienfürsorge ihren Schwerpunkt im Bereich Kirchen, Diakonie, Caritas, Wohlfahrt, etc. Dort ist sie nicht unerfolgreich und hat seit 1966 auch knapp über 100.000 Verträge akquiriert sowie 705 Leistungsfälle abgewickelt. Aber nun kommt eine weitere interessante Kennzahl ins Spiel: Durchschnittliche BUmonatsrente. Diese drückt aus, wieviel BU denn pro Vertrag im Durchschnitt abgesichert ist und lässt u.a. Rückschlüsse aus Beratungsqualität, Zielgruppe und evtl. auch die Bemühungen der Kunden eine BUrente zu beantragen & zu bekommen ziehen. Ganz vereinfacht gesagt: Würden Sie für 300e Rente im Monat (die ja eh wieder vom Amt kassiert werden) klagen? Na also. Was allerdings bei Familienfürsorge auch sehr bemerkenswert ist, betrifft die Leistungsfallprüfung. Mit einer BUleistungsquote (ermittelt von Morgen&Morgen, wie auch der Rest der Zahlen/Statistiken in diesem Artikel) von 45,64% liegt Familienfürsorge abgeschlagen auf dem letzten Platz (55.) der Versicherer, von den die Zahlen vorliegen. Das bedeutet: Von 100 beantragten BUrenten wurden bei Familienfürsorge im Schnitt fast 55 abgelehnt! Böse Zungen könnten behaupten, das wäre Kalkül – und eine ziemlich niedrige Prozessquote von 0,014% könnte das belegen. Als Priester ist man ja sowieso idR eher pazifistisch veranlagt 😉
HanseMerkur ist seit 1956 im BUgeschäft und bisher knapp über 40.000 Verträge an Frau/Mann gebracht. Dabei waren knapp unter 600 BUfällen zu verzeichnen und die durchschnittliche BUrente ist mit 493,30e auch eher mager. Die Leistungsquote liegt mit 62,27% eher im unteren Drittel des Marktes, aber besonders interessant ist, dass HanseMerkur in einer Statistik die #1 belegt: Morgen&Morgen Prozessquote. Mit 8,04% ist HM da “Marktführer”. Doch was drückt das aus? Einige Versicherer (und deren Vermittler) rühmen sich mit besonders niedriger Prozesshäufigkeit. Eine Prozesshäufigkeit als solche hat nichts zu sagen. Sie hängt von vielen Faktoren wie zB Zielgruppe des Versicherers (zB Juristen, Beamte, Akademiker klagen häufiger und früher) oder der versicherten Monatsrente (geht es um meine Existenz oder nur um Kürzung der Grundsicherung wie im o.g. Fall?) ab. Was allerdings durchaus eine Aussagekraft hat, ist wie oft ein Versicherer verklagt wird und wie oft dieser klein beigeben muss. Dies drückt die Morgen&Morgen Prozessquote aus. Daraus könnte man Schlüsse auf die Art der Leistungsbearbeitung ziehen – erfolgt diese fair und nach dem Stand der Rechtsprechung oder muss man den Versicherer erst dazu “zwingen”?
Zuletzt betrachten wir mal der Vollständigkeit halber ProvinzialRheinland. Einführung 1965, 143.539 Verträge, 2.423 BUfälle, eine durchschnittliche BUrente von 810,04e monatlich, Prozessquote 0,97% und 96,06% Leistungsquote. Von den betrachteten Kennzahlen her ist das unter den oben genannten Gesellschaften der eindeutige “Testsieger”. Bei den Bedingungen bestehen jedoch ein paar Schönheitsfehler wie zB u.a. bei dem Thema “Rückwirkende Leistung bei verspäteter BUmeldung” (maximal 3 Jahre rückwirkend, sofern unverschuldet unbegrenzt), “Zuletzt ausgeübter Beruf” (Berufswelchsel innerhalb der letzten 24 Monate werden berücksichtigt), “Nachversicherung” (je nach Tarif ist bei Alter 40 bzw 45 Schluss), “Definition der bisherigen Lebensstellung” (keine verbindliche zumutbare Minderung des Einkommens festgelegt) sowie “Meldepflicht gesundheitlicher Verbesserungen” – Aufzählung ist unvollständig und bei dem einen oder anderen Einzelfall/Beruf/etc können auch noch andere Faktoren eine Rolle spielen.
War da noch was?
Achja. Die Pointe habe ich Ihnen zum Schluss aufgespart. VHV (die ich im Bereich Komposit SEHR schätze) sind auch “Testsieger”. Das Baby unter den Testkandidaten wurde erst im Jahr 2004 gegründet und führt ganze 1.468 Verträge im Bestand. Die durchschnittliche monatliche BUrente ist mit 928,47e ziemlich hoch und die Prozessquote/-häufigkeit liegt bei 0,00%! Bei der Leistungsquote stehen 62,5% zu Buche – also 2 Drittel aller BUfälle wurden reguliert. Um genau zu sein: 2 BUfälle von den 3, die bisher gemeldet wurden.
Fazit: Das waren gerade mal eine Handvoll Gesellschaften und schon da gab es schon einige Besonderheiten, die jeder anders sieht. Jeder Bedarf ist anders. Jeder Kunde legt auf etwas Anderes wert. Bei der Auswahl des richtigen Versicherungsschutzes geht es nicht um irgendwelche Tests. Es geht um Sie. Und mich – Ihren Makler. Lassen Sie uns gemeinsam und individuell die passende Lösung finden!
PS: Vielen Dank an Morgen&Morgen für die umfangreiche Datenbank, die Zahlen und man vergesse nicht:
Mit amüsierten Grüßen,
Wladimir Simonov
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